Vom 31. Oktober bis 5. November 2024 war ich mit einer kleine Gruppe aus Deutschland in der Ukraine. Über Przemysl, Lviv und Iwano-Frankiwsk ging es zu “unseren” Binnengeflüchteten nach Czernowitz.
Wie fühlt es sich an, durch ein Land und eine Gesellschaft im Krieg zu reisen? Wie ist die Stimmung? Auf welche Ideen für weitere Hilfen kommen wir?
Halloween-Feier in Lviv
Dieses Mal waren wir nicht nur in Czernowitz, sondern kamen von Westen über die polnisch-ukrainische Grenze nach Lviv. Hier sahen wir den jungen Leute in der Altstadt bei ihrer Halloween-Feier um das Schewtschenko-Denkmal mit ukrainischer Pop-Musik zu. Der Krieg schien weit weg an diesem Abend. Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Zug nach Iwano-Frankiwsk und besuchten Freunde, mit denen ich vor der Pandemie öfter zusammen gearbeitet habe. Die Innenstadt war eine große Ausstellung mit Portraits von Söhnen und Töchtern der Stadt.
Europäisierung gegen den grauen Schleier
Von unseren Freunden haben wir erfahren, dass sehr viele UkrainerInnen Antidepressiva nehmen. Und so wie ich in der Corona-Zeit etwas nachsichtiger mit Süßigkeiten für Kinder, so erzählt es Olia, sei man mit Fluchen und Schimpfwörtern. Man hört sie mehr und man lässt sie durchgehen. Der jetzige Zustand sei eine kontinuierliche Gegenwart des 24. Februars, ein grauer Schleier, der schwer auf der Gesellschaft liegt. Hoffnung auf ein baldiges positives Ende hat keineR mehr. Wenn man irgendeine positive Entwicklung suchen möchte, dann findet Olia das Genderthema. Männer und Frauen seien enger zusammen gerückt. Es gibt weniger klassische Männer- oder Frauenarbeiten. Alle machen alles und werden gebraucht.
Das ist für mich ein Beispiel dafür, was der Kreml mit seiner Aggression erreicht – das Gegenteil von dem, was man erreichen wollte: der Kreml möchte die Ukraine wieder zurück ins Russische Imperium holen, doch was erreicht man: Die Ukraine wird immer europäischer: Mehr Fahrräder auf den Straßen, mehr Gender-Diskussionen, mehr Englisch Lernende, mehr UkrainerInnen befinden sind derzeit in der EU (und kommen hoffentlich eines Tages zurück, mit neuen Kompetenzen) – und natürlich sind auch europäische Waffen im Einsatz, leider nicht genug, um sich ausreichend zu wehren. Iwano-Frankiwsk hat uns als Stadt extrem lebendig und gut gefallen. Wir hatten über die ganzen Tage auch Glück: Es gab keinen Angriff auf die Orte, an denen wir waren. Die Warn-App blieb stumm und wir mussten nicht ein Mal in einen Schutzraum.
Treffen mit Binnengeflüchteten in Czernowitz
In Czernowitz haben wir uns dann mit “unseren” Binnengeflüchteten getroffen. Zunächst mit Olia&Iurii und (Portrait 17) und Karolina (Portrait 9) in der Uni. Die Fluchtgeschichten sind bewegend, aber die Kraft, die diese Menschen ausstrahlen, ist beeindruckend. Karolina hat mit ihrem Mann einen kleinen Laden für Handyreparaturen aufgebaut und der Tochter, die am 11. März 2022 in Mariupol das Licht dieser Welt erblickte, geht es gut. Wie im Juni haben wir dann noch einen gemeinsamen Abend gestaltet mit uns 6 aus Deutschland und 10 Binnengeflüchteten – mit Geschichten, Liedern, gutem Essen und gegenseitigen Geschenken. Für viele dieser Menschen aus dem Osten der Ukraine sind wir die ersten Ausländer, die sie treffen und die kein Russisch sprechen. Sie sehen in uns Europa und europäische Werte. Sie geben uns Fragen auf, was wirklich wichtig ist im Leben und was ein Leben lebenswert macht. Und wir geben ihnen ein bisschen Hoffnung, einen kurzen Halt… und 200 € Unterstützung im Monat.
Immer wieder wird betont, dass das Geld sehr wichtig ist. Noch wichtiger ist allerdings der Austausch, die psychologische Wirkung unserer Unterstützung in einer Gesellschaft, die sich sonst oft im Stich gelassen fühlt und der Halt untereinander in diesem Projekt. Bei der Geldübergabe am Anfang des Monats nimmt sich unsere Koordinatorin Olia Sapa (Portrait 1) für jeden 30 Minuten. Sie ist Psychologin und hilft, vernetzt und hört zu. Demnächst soll es in ein Theater gehen und im Frühling wollen sie zusammen Ausflüge machen, um ihre neue Heimat, die Bukowina, kennenzulernen.
Ab jetzt wieder 200€ im Monat für 30 Familien
Wir haben seit Dezember 2023 bereits 50.000 € (!) gesammelt und in Czernowitz verteilt. Den großen Dank, den meistens und monatlich ich bekomme, gebe ich hiermit weiter an jedeN SpenderIn. Zumindest diese Familien fühlen sich weniger allein gelassen als andere UkrainerInnen. Nach der Wahl Trumps ist in der ganzen Region eine große Verunsicherung. Es kommen große Herausforderungen auf die europäische Familie zu. Danke, dass Sie Teil dieser Initiative sind.
Dank Ihrer Spenden und einer großen Einzelspende (Danke, Beate!) haben wir uns mutig entschlossen, seit November wieder 200 € anstatt wie im Sommer nur 100 € monatlich zu zahlen. Außerdem nehmen wir noch 6 weitere Familien in den Kreis auf, so dass wir ab Dezember 30 Familien unterstützen. Auf die Geschichten von den neuen 6 Familien werde ich im nächsten Update hinweisen. Fast alle von uns ausgewählten Familien sind in irgendeiner Weise ein aktives Mitglied der Czernowitzer Gemeinschaft. Wir starten jetzt, auch davon zu berichten.
Hier finden Sie die ersten zwei Geschichten zu den Eigeninitiativen der Binnengeflüchteten.
Welche ist meine Rolle in diesem Krieg? Das ist eine Frage, die sich viele UkrainerInnen fragen. Diese Frage war auch eine meiner Grundmotivationen zum Start dieser “Winterwärme”. Olena und Viktoriia machen den Anfang. Sie kümmern sich um verwundete Soldaten im Czernowitzer Krankenhaus.
Ihre Motivation? Bitte schreiben Sie sie mir!
Immer wieder bekomme ich die Frage aus Czernowitz, wer denn diese Leute sind, die ihr Geld ohne Bedingungen fast unbekannten UkrainerInnen anvertrauen. Ich lade Sie ein, mir eine Email () mit ihrer Motivation zu schreiben. Ich werde diese dann auf Ukrainisch übersetzen und hier auf unserer Seite veröffentlichen.
Bis Ende Dezember habe ich noch Spendengelder, aber natürlich soll es weitergehen mit der Unterstützung. Wir werden etwa 6.500 € pro Monat benötigen und freuen uns weiterhin über jede Spende und über jede neue SpenderIn. Schreiben Sie mir eine Email (s.o.), wenn Sie alle paar Monate auf solch ein Update hingewiesen werden möchten. Bitte leiten Sie auch gern diesen Link an Freunde weiter.
Spenden bitte weiterhin an:
Active Commons e.V.
IBAN: DE71430609671123441900
GLS Gemeinschaftsbank eG
Verwendungszweck: Ukraine-Hilfe
Und wer Interesse an mehr Infos und/oder Kontakt zu Menschen in der Ukraine hat, melde sich bitte bei Julian: