von Olena Denysenko (Portrait Nr. 19)
Projekt: Kochen für Verwundete weiterlesenAlle Beiträge von Julian Groeger
Projekt: Kinderkunst, Massagen und Spezialkleidung für unsere Verteidiger
Ukraine-direkt: “Winterwärme”-Projekt-Update von Julian Gröger, 11/2024
Vom 31. Oktober bis 5. November 2024 war ich mit einer kleine Gruppe aus Deutschland in der Ukraine. Über Przemysl, Lviv und Iwano-Frankiwsk ging es zu “unseren” Binnengeflüchteten nach Czernowitz.
Wie fühlt es sich an, durch ein Land und eine Gesellschaft im Krieg zu reisen? Wie ist die Stimmung? Auf welche Ideen für weitere Hilfen kommen wir?








Halloween-Feier in Lviv
Dieses Mal waren wir nicht nur in Czernowitz, sondern kamen von Westen über die polnisch-ukrainische Grenze nach Lviv. Hier sahen wir den jungen Leute in der Altstadt bei ihrer Halloween-Feier um das Schewtschenko-Denkmal mit ukrainischer Pop-Musik zu. Der Krieg schien weit weg an diesem Abend. Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Zug nach Iwano-Frankiwsk und besuchten Freunde, mit denen ich vor der Pandemie öfter zusammen gearbeitet habe. Die Innenstadt war eine große Ausstellung mit Portraits von Söhnen und Töchtern der Stadt.
Europäisierung gegen den grauen Schleier
Von unseren Freunden haben wir erfahren, dass sehr viele UkrainerInnen Antidepressiva nehmen. Und so wie ich in der Corona-Zeit etwas nachsichtiger mit Süßigkeiten für Kinder, so erzählt es Olia, sei man mit Fluchen und Schimpfwörtern. Man hört sie mehr und man lässt sie durchgehen. Der jetzige Zustand sei eine kontinuierliche Gegenwart des 24. Februars, ein grauer Schleier, der schwer auf der Gesellschaft liegt. Hoffnung auf ein baldiges positives Ende hat keineR mehr. Wenn man irgendeine positive Entwicklung suchen möchte, dann findet Olia das Genderthema. Männer und Frauen seien enger zusammen gerückt. Es gibt weniger klassische Männer- oder Frauenarbeiten. Alle machen alles und werden gebraucht.
Das ist für mich ein Beispiel dafür, was der Kreml mit seiner Aggression erreicht – das Gegenteil von dem, was man erreichen wollte: der Kreml möchte die Ukraine wieder zurück ins Russische Imperium holen, doch was erreicht man: Die Ukraine wird immer europäischer: Mehr Fahrräder auf den Straßen, mehr Gender-Diskussionen, mehr Englisch Lernende, mehr UkrainerInnen befinden sind derzeit in der EU (und kommen hoffentlich eines Tages zurück, mit neuen Kompetenzen) – und natürlich sind auch europäische Waffen im Einsatz, leider nicht genug, um sich ausreichend zu wehren. Iwano-Frankiwsk hat uns als Stadt extrem lebendig und gut gefallen. Wir hatten über die ganzen Tage auch Glück: Es gab keinen Angriff auf die Orte, an denen wir waren. Die Warn-App blieb stumm und wir mussten nicht ein Mal in einen Schutzraum.
Treffen mit Binnengeflüchteten in Czernowitz
In Czernowitz haben wir uns dann mit “unseren” Binnengeflüchteten getroffen. Zunächst mit Olia&Iurii und (Portrait 17) und Karolina (Portrait 9) in der Uni. Die Fluchtgeschichten sind bewegend, aber die Kraft, die diese Menschen ausstrahlen, ist beeindruckend. Karolina hat mit ihrem Mann einen kleinen Laden für Handyreparaturen aufgebaut und der Tochter, die am 11. März 2022 in Mariupol das Licht dieser Welt erblickte, geht es gut. Wie im Juni haben wir dann noch einen gemeinsamen Abend gestaltet mit uns 6 aus Deutschland und 10 Binnengeflüchteten – mit Geschichten, Liedern, gutem Essen und gegenseitigen Geschenken. Für viele dieser Menschen aus dem Osten der Ukraine sind wir die ersten Ausländer, die sie treffen und die kein Russisch sprechen. Sie sehen in uns Europa und europäische Werte. Sie geben uns Fragen auf, was wirklich wichtig ist im Leben und was ein Leben lebenswert macht. Und wir geben ihnen ein bisschen Hoffnung, einen kurzen Halt… und 200 € Unterstützung im Monat.
Immer wieder wird betont, dass das Geld sehr wichtig ist. Noch wichtiger ist allerdings der Austausch, die psychologische Wirkung unserer Unterstützung in einer Gesellschaft, die sich sonst oft im Stich gelassen fühlt und der Halt untereinander in diesem Projekt. Bei der Geldübergabe am Anfang des Monats nimmt sich unsere Koordinatorin Olia Sapa (Portrait 1) für jeden 30 Minuten. Sie ist Psychologin und hilft, vernetzt und hört zu. Demnächst soll es in ein Theater gehen und im Frühling wollen sie zusammen Ausflüge machen, um ihre neue Heimat, die Bukowina, kennenzulernen.
Ab jetzt wieder 200€ im Monat für 30 Familien
Wir haben seit Dezember 2023 bereits 50.000 € (!) gesammelt und in Czernowitz verteilt. Den großen Dank, den meistens und monatlich ich bekomme, gebe ich hiermit weiter an jedeN SpenderIn. Zumindest diese Familien fühlen sich weniger allein gelassen als andere UkrainerInnen. Nach der Wahl Trumps ist in der ganzen Region eine große Verunsicherung. Es kommen große Herausforderungen auf die europäische Familie zu. Danke, dass Sie Teil dieser Initiative sind.
Dank Ihrer Spenden und einer großen Einzelspende (Danke, Beate!) haben wir uns mutig entschlossen, seit November wieder 200 € anstatt wie im Sommer nur 100 € monatlich zu zahlen. Außerdem nehmen wir noch 6 weitere Familien in den Kreis auf, so dass wir ab Dezember 30 Familien unterstützen. Auf die Geschichten von den neuen 6 Familien werde ich im nächsten Update hinweisen. Fast alle von uns ausgewählten Familien sind in irgendeiner Weise ein aktives Mitglied der Czernowitzer Gemeinschaft. Wir starten jetzt, auch davon zu berichten.
Hier finden Sie die ersten zwei Geschichten zu den Eigeninitiativen der Binnengeflüchteten.
Welche ist meine Rolle in diesem Krieg? Das ist eine Frage, die sich viele UkrainerInnen fragen. Diese Frage war auch eine meiner Grundmotivationen zum Start dieser “Winterwärme”. Olena und Viktoriia machen den Anfang. Sie kümmern sich um verwundete Soldaten im Czernowitzer Krankenhaus.
Ihre Motivation? Bitte schreiben Sie sie mir!
Immer wieder bekomme ich die Frage aus Czernowitz, wer denn diese Leute sind, die ihr Geld ohne Bedingungen fast unbekannten UkrainerInnen anvertrauen. Ich lade Sie ein, mir eine Email () mit ihrer Motivation zu schreiben. Ich werde diese dann auf Ukrainisch übersetzen und hier auf unserer Seite veröffentlichen.
Bis Ende Dezember habe ich noch Spendengelder, aber natürlich soll es weitergehen mit der Unterstützung. Wir werden etwa 6.500 € pro Monat benötigen und freuen uns weiterhin über jede Spende und über jede neue SpenderIn. Schreiben Sie mir eine Email (s.o.), wenn Sie alle paar Monate auf solch ein Update hingewiesen werden möchten. Bitte leiten Sie auch gern diesen Link an Freunde weiter.
Spenden bitte weiterhin an:
Active Commons e.V.
IBAN: DE71430609671123441900
GLS Gemeinschaftsbank eG
Verwendungszweck: Ukraine-Hilfe
Und wer Interesse an mehr Infos und/oder Kontakt zu Menschen in der Ukraine hat, melde sich bitte bei Julian:
Czernowitz – Besuch im Juni 2024
Von Anfang an ging es uns darum, mit unserem Projekt der Ukraine-Hilfe Begegnungen zu ermöglichen. Im Dezember 2023 als ich (Julian) zum ersten Mal für diese Initiative nach Czernowitz gefahren bin, dachte ich mir: Wie schön wäre es, wenn ich beim nächsten Mal nicht allein hinfahre, sondern ein paar von denen mit mir im Bus sitzen, die auch gespendet haben und sich nun enger mit diesen Familien verbinden möchten? Und wie schön wäre es, wenn es dann etwa 16 Leute wären, damit wir genau einen Kleinbus voll haben?
Ich interpretiere es als guten Stern über diesem Projekt, dass es genauso gekommen ist. Auf meinen Aufruf zu Beginn des Jahres in diesem Kreis, wer denn mal mit nach Czernowitz möchte, haben sich genau 16 Leute gemeldet. Vom 21. bis 25. Juni 2024 waren wir in der Ukraine und haben uns mit den von uns unterstützten Familien getroffen. Viele der Dinge, die ich im Dezember gefühlt habe, haben sich bestätigt: Die UkrainerInnen brauchen Unterstützung, sie brauchen Ohren, sie brauchen Umarmungen, sie brauchen Alltag, sie brauchen Solidarität, gelebtes Europa.












Wir haben uns mit einigen unserer 23 Familien gesondert zu einem Gespräch getroffen, um ihnen zuzuhören und uns näher mit ihren Schicksalen zu verbinden. Unsere Koordinatorinnen vor Ort Olha (selbst Binnengeflüchtete, Geschichte 1), Oksana (Leiterin des Internationalen Büros der Uni Czernowitz) und Olha (Übersetzerin) haben diese Begegnungen ermöglicht und vorbereitet. Die Herausforderungen, aus diesen Begegnungen Situationen werden zu lassen, bei denen sich alle wohlfühlen, haben wir alle gemeinsam immer wieder und gern bewältigt.
In der Uni im Kulturzentrum Gedankendach haben wir uns zunächst mit Vitaliy (Geschichte 15) getroffen und seiner Geschichte zugehört, wie er zu einem Vater von acht Kindern wurde, wobei nur eins davon sein eigenes ist. Olha und Iuriy (Geschichte 17) schilderten uns eindrücklich mit Bildern und Videoaufnahmen, wie das Leben unter russischer Besatzung aussah und wie sie die Sprengung des Kachowka-Staudamms im Sommer 2023 überlebt haben und die gigantische Flut für ihre Flucht aus russisch besetzten Gebiet nutzen konnten. Beim Lauschen dieser Geschichten wird man sehr demütig und darf sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren, die uns Menschen ausmachen.
Der Samstagabend war der Höhepunkt des Treffens. Von 23 unterstützten Familien in Czernowitz konnten 19 unsere Einladung zu einem gemeinsamen Begegnungsabend annehmen. In Kleingruppen an einem gedeckten Tisch konnten sich unsere 17 Gäste aus Deutschland und die 19 größtenteils binnengeflüchteten UkrainerInnen kennenlernen. Für einige aus der Ostukraine war es die erste Begegnung mit Menschen außerhalb der ehemaligen Sowjetunion. Die Aufregung und Anspannung war auf beiden Seiten zu spüren. Kleine Gruppenspiele und Gastgeschenke konnten die Anspannung bei den meisten lösen. Ich glaube, ich kann schreiben, dass für durchweg alle dieser Abend ein sehr bewegender war und dass die Gedanken und Emotionen dieses Abends uns noch lange begleiten werden.
Den Sonntag hat die Gruppe dann nutzen können, um die besondere Kulturgeschichte der Stadt zu erleben: Jüdisch-Deutsche Vergangenheit, KuK-Zeiten, rumänisches Czernowitz. Im Hotel Bukowyna oder in der Fußgängerzone, der Kobylyanskaia Straße, kann man schnell vergessen, dass man sich in einem Land im Krieg befindet. Allerdings ploppt es auch immer wieder auf. Am Sonntagmorgen um 9 Uhr haben wir der Gedenkminute beigewohnt. Jeden Morgen um 9 Uhr steht die Stadt still. Alle Autos halten an. Am Rathausplatz sind auch alle ausgestiegen und haben sich neben ihr Auto gestellt. Polizisten haben Kreuzungen abgesperrt. Aus Lautsprechern ertönte Musik. Es war bewegend, denn wir wissen, dass es in der Ukraine kaum Menschen gibt, die nicht unter den Aggressionen des Kremls leiden.
Am Montag haben wir uns mit NGO-VertreterInnen und einem Lokalpolitiker getroffen, um noch mehr über die Gesamtsituation der Binnengeflüchteten zu verstehen. Außerdem haben wir noch einige von “unseren” Familien gebeten, uns ihre Privatinitiativen vorzustellen. Yulia aus Kharkiv (Geschichte 14) erzählte uns von ihrem Traum einer eigenen kleinen Schoko-Werkstatt. Unsere Gruppe aus Deutschland hat ihr dann erstmal alle Pralinen abgekauft, die sie gerade fertig hatte (köstlich!). Olena aus Kurakhovo (Donezk, Geschichte 19) hat angefangen, für verwundete Soldaten, die zur Reha im sicheren Czernowitz sind, zu kochen. Diese Soldaten brauchen meist keine Diät-Kost und sehnen sich nach Heimat. Noch wichtiger als die Borschtsch ist aber auch hier die Zeit, die sie den Soldaten schenkt und die Umarmungen, die sie und ihre Freundinnen den Verwundeten mitbringen.
Im nächsten Beitrag auf dieser Seite werde ich euch mehr über diese lokalen Kleinstinitiativen von den von uns unterstützten Familien erzählen. Alle, die wir getroffen haben, stellen sich aktiv die Frage, was ihr Beitrag für eine freie Ukraine ist und kommen zu sehr unterschiedlichen, kreativen Antworten.
Wir haben eine verwundete Gesellschaft erlebt. Wir haben Menschen erlebt, die den Krieg hautnah erleben mussten, traumatisiert sind und immer wieder in Tränen ausbrechen. Wir haben allerdings auch erlebt, dass die Gesellschaft steht und die Menschen sich keine andere Ukraine als eine befreite und freie Ukraine vorstellen können. Unsere Unterstützung kommt an. Sie gibt ein paar Menschen in schwierigen Zeiten Mut. Unsere finanzielle Unterstützung von derzeit 100,- € pro Monat und Familie ist bei den meisten eine Erhöhung des monatlichen Budgets von 15-30%. Das macht einen Unterschied. Trotzdem war das Feedback viel häufiger, dass weniger das Geld die Kraft bringt, als vielmehr die Präsenz und das Symbol des Beistehens und Solidarisierens, das mit dem monatlichen Geldschein kommt. Besonders dafür war unser Besuch wichtig.
Die meisten von unserer Reisegruppe aus Deutschland sind mit dem Kleinbus wieder nach Chisinau gefahren. Dort haben wir uns noch zwei Tage für eine gemeinsame Reflektion genommen, bevor es zurück nach Deutschland ging. Wir möchten diese Ukraine-Hilfe aufrechterhalten und nach Möglichkeit für die Wintermonate auch wieder auf 200 € aufstocken. Es ist abzusehen, dass der nächste Winter noch komplizierter wird als die ersten beiden Kriegswinter, da die russische Armee ca. 50 Prozent der ukrainischen Energiekapazitäten zerstört haben. Im Spendentopf sind derzeit noch ca. 6.000 €. Das würde für zwei Sommer- und Herbstmonate reichen. Olha hat allerdings auch schon eine Liste mit Familien, die wir gern hinzunehmen würden. Wir freuen uns daher über jede Spende und Ideen, wie wir diese Geschichten verbreiten können.
Spenden Sie weiterhin an:
Active Commons e.V.
IBAN: DE71430609671123441900
Verwendungszweck: Ukraine-Hilfe
Wenn Sie im Januar eine Spendenquittung wünschen, dann geben sie bitte auch ihre Adresse an oder schreiben mir diese an
Außerdem: Die UkrainerInnen waren ganz gespannt darauf zu sehen, wer denn hinter dieser Hilfe steckt und was uns antreibt, fremden Menschen Geld anzuvertrauen. Wer also möchte, schreibt mir gern einen kleinen Text, am besten noch mit einem Bild. Ich übersetze es dann ins Ukrainische und schicke es an “unsere” Familien, die sich über solche Gesten riesig freuen. Ihr könnt mir dann schreiben, ob ich den Text auch auf dieser Homepage veröffentlichen darf oder lieber nicht. Derzeit sind wir ca. 170 Menschen, die in diesen Topf schon mal gespendet haben oder es regelmäßig tun. Leitet den Link gern weiter. Vielleicht gibt es noch mehr Menschen in Deutschland, die sich auf diese Weise mit der Ukraine verbinden möchten.
DANKE, dass Ihr diese Initiative zum Fliegen bringt. Ich habe vor mir die Geschenke, die ich im Namen aller in Czernowitz angenommen habe. Mit der signierten Fahne, dem Ukraine-Puzzle und Bilder vom alten, stolzen Czernowitz kommt der Dank der Familien, den ich versuche, hierüber nach Deutschland zu kanalisieren.
Hier ein paar Impressionen von den Mitreisenden:
“Der Höhepunkt war zweifellos das Treffen mit den Menschen, für die die regelmäßigen Spenden aus Deutschland überlebenswichtig sind. Unter ihnen waren nicht wenige, die noch nie oder fast noch nie mit „ausländischen Menschen“ gesprochen hatten. Zuweilen verständigten wir uns lediglich mit Zeichensprache, wenn unsere Dolmetscher gerade mal anderweitig beschäftigt waren. In jeder Sekunde spürten wir – bei gutem Essen (überwiegend Gemüse!) , Wasser und Wein – eine sehr große Herzlichkeit. Die Menschen, die wir trafen, bedankten sich immer wieder, dass wir gekommen waren und sie in diesem grauenvollen Krieg nicht vergessen sind. Kleine Herzchen in blau und gelb, die wir bekamen, sind mehr als Symbolik. Hier, wie auch an anderen Tagen, flossen viele Tränen: Tränen der Rührung und der großen Dankbarkeit. Die Menschen bedankten sich, dass wir den weiten Weg auf uns genommen hatten und sie anhören. Stunden des Glücks. Für sie, aber auch fpr uns. Und wir mussten jedes Mal etwas beschämt daran denken, wie materiell gut es den meisten von uns geht und mit einer vergleichsweise wie kleinen Summe viele von uns geholfen hatten.”
Reiner Scholz, Hamburg
“Anfangs war ich skeptisch. Millionen Ukrainer*innen flüchten und wir reisen in ein Land im Krieg. Was im ersten Moment nach Kriegstourismus klang, wurde zum Fest der Menschlichkeit. Juri und Olha, die 2014 von der Krim und 2023 nach der Sprengung des Kachowka-Staudamms erneut aus russischer Besatzung fliehen mussten… Karolina, die ihr Baby zwischen den Schüssen russischer Soldaten auf einem Krankenhausflur in Mariupol zur Welt brachte… Vika, die ihren Bruder im Krieg verlor und ihre Liebe während seines Fronturlaubs heiratete… Es sind Geschichten, die so nie hätten passieren dürfen und in ihrer Brutalität kaum auszuhalten sind. Umso mehr sind es aber auch Geschichten, die unbedingt gehört und weitererzählt werden müssen. Unsere Gespräche waren Begegnungen voller Tränen und Umarmungen, voller Freude und Menschlichkeit. Und was uns zwischen all dem immer wieder begegnete, war Dankbarkeit – für unseren Besuch, für unser Zuhören, für unsere Empathie und Unterstützung. Dabei ist all das so verdammt wenig – in Zeiten von Krieg. Und trotzdem ist es für die Menschen in der Ukraine überlebenswichtig, gesehen, unterstützt und nicht vergessen zu werden. Denn der brutale russische Angriffskrieg geht weiter – jeden Tag.”
Carolin Holzhäuser, Berlin
“Beeindruckt vom Lebenswillen der ukrainischen Binnenflüchtlinge, die wir vor Ort trafen, und der selbstlosen Hilfe jener Czernowitzer Landsleute kehrten wir ins sichere Nachhause. Der russische Krieg, in Tscherniwzi gelegentlicher Luftalarm und kurze Stromsperren, ist uns weit weg und doch ganz nah, weil die Geschichten der zur Flucht getriebenen Menschen, denen wir begegneten, bleiben. Die Meldungen über die Toten und Verletzten laufen weiter. Der Tod ist nun ein Meister aus Moskau.”
Volker Köhler und Monika Wagner, Berlin
„Die geflüchteten Familien durfte ich auf einer Reise nach Czernowitz kennenlernen. Ihre bewegenden Geschichten werden mir noch lange im Kopf bleiben. Ich finde es toll, dass dieses Projekt die Familien direkt und unkompliziert unterstützt.“
Lisa Krause, Hamburg
„Ich fand es anrührend und zugleich ein großes Geschenk, wie offen und herzlich unsere „Binnen-Geflüchteten“ uns begegneten, bereit, Ihre Erfahrungen und ihren Schmerz mit uns zu teilen. Berührend, ja auch etwas beschämend, für mich als gut situierten „Westler“, die Zuversicht, der Mut und das beherzte Anpacken. Anpacken, um die eigene Situation zu meistern und zugleich auch anderen beizustehen. Bewundernswert insbesondere, was unsere Koordinatorinnen Oxana, Olha und Olha (und all die anderen) da leisten – an Arbeit und empathischer Zuwendung! All das passiert in Czernowitz, ein fast mystischer Ort mit einer großen Vergangenheit, einst Zentrum überwiegend deutschsprachigen Judentums im Osten, zugleich multi-ethnisch und kosmopolitisch. Mit den Zeugnissen einer unbändigen Kreativität und Schaffenskraft, zugleich Symbol der Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit, zumal all dies schon einmal dem Untergang anheim fiel. Bleibt die Hoffnung, dass die hier nun herrschende relative Sicherheit Bestand haben kann. Denn die Ideologie Putins scheint sich ja gerade gegen alles zu richten, was Vielfalt, freies Denken und Solidarität repräsentiert.“
Hansjörg Brey, Seefeld
Beiträge in Social Media und Presse
Ukraine-direkt-Update, 22. 2.2024
Wir konnten im Januar dank der großen Spendenbereitschaft noch neun weitere Familien hinzunehmen und erzählen hier auch ihre Geschichten:
24 Vasyl Vyshkovets, Sumy
(Soldat, zur Zeit im Krankenhaus in Kherson)
Krieg… Ich möchte die Geschichte meines Bruders erzählen, der mutig aufstand, um unser Land zu verteidigen.
Unsere Familie lebt in der Region Sumy, die an der Grenze zum Aggressorenland liegt, und wir wissen nicht nur aus den Medien von den Kriegsverbrechen, die die russischen Besatzer in unserem Land begangen haben. Russland begann den Krieg in der Ukraine im Jahr 2014, als mein Bruder Vasyl sich zum ersten Mal für die Verteidigung der Ukraine einsetzte. Nach dem vollständigen Einmarsch des Aggressors versuchte unser Dorf, den Krieg zu überleben, indem es seine landwirtschaftlichen Aktivitäten fortsetzte und auf verminten Feldern säte und erntete, wobei es sein eigenes Leben riskierte.
Im Herbst 2023, nach der Ernte, wurde mein Bruder einberufen. So wurde Vasyl zum zweiten Mal Soldat der ukrainischen Streitkräfte und wurde zur Marine in Richtung Kherson geschickt. Trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit der russischen Armee verteidigen bereits mehrere hundert ukrainische Soldaten tapfer das linke Ufer des Dnipro. Dorthin wurden Vasyl und seine drei Kameraden geschickt. Dort, wo die gesamte Frontlinie unter ständigem Beschuss durch die Besatzer steht.
Als sie auf die andere Seite des Dnipro segelten, wartete der Feind schon auf sie und wusste, wohin er zielen musste. Alles, was sie hatten, wurde auf sie abgefeuert: Artillerie, Mörser, Drohnen, Flammenwerfer und endloses Maschinengewehrfeuer. So wurde das Boot getroffen und alle Kameraden verwundet, woraufhin sie wie durch ein Wunder im Sumpf landeten, wo sie drei höllische Tage verbringen mussten. „Ich dachte, ich käme da nie wieder raus“, sagte mein Bruder. Während sie im kalten Wasser lagen und bluteten, standen sie unter ständigem Beschuss, und feindliche Drohnen hinderten sie daran, sich zu bewegen. „Wir beschlossen, Abstand voneinander zu halten, damit der Feind uns nicht alle gleichzeitig unter Beschuss nehmen konnte. Zu diesem Zweck riefen wir uns in regelmäßigen Abständen gegenseitig zu, um herauszufinden, wer überlebt hatte. Am zweiten Tag reagierte einer meiner Kameraden nicht mehr auf unsere Rufe, so dass ich zu ihm schwamm, wo ich zwei weitere Wunden am Bein und am Arm erlitt. Als ich meinen Kameraden sah, stellte ich fest, dass er bereits tot war.
Nachdem das Boot getroffen worden war, funktionierte das Funkgerät nicht mehr, aber am zweiten Tag gelang es mir, es einzuschalten und Hilfe zu rufen. Die Hilfe kam schnell, unser Militär und die Krankenwagen warteten auf uns, aber sie konnten uns nicht aus dem Sumpf ziehen, weil wir alle unter ständigem feindlichem Beschuss standen. Wir konnten es auch nicht aus eigener Kraft schaffen, weil wir alle verwundet waren. Wir beschlossen zu warten, bis die Schießerei wenigstens ein bisschen aufhörte. Aber es war alles vergebens. Am Ende des dritten Tages gelang es unserem Militär, uns aus dem Sumpf zu holen, obwohl das Feuer nicht aufhörte.
Drei Tage ohne Essen, Wasser, in einem eisigen Sumpf und unter ständigem Beschuss durch die Besatzer. Mein Bruder erlitt drei Verletzungen und Erfrierungen an beiden Gliedmaßen. Vor einer Woche mussten ihm die Zehen amputiert werden, da es keine Chance gab, seine Gliedmaßen wiederherzustellen. Zurzeit befindet sich mein Bruder in Behandlung, wo er mit allem versorgt wird, was er braucht. Es fällt mir sehr schwer, mir vorzustellen, was sie in diesen höllischen Tagen durchmachen mussten. Jetzt sind ihre Ehefrauen bei ihnen im Krankenhaus, kümmern sich um sie und helfen ihnen, diesen Horror zu überleben.
All das hätte vermieden werden können, wenn die Nazis nicht in unser Land gekommen wären. Passen Sie auf sich und Ihr Land auf!
Geschrieben im Januar 2024 von seiner Schwester Tetiana, die nach Chisinau geflüchtet ist und dort bei unserem Koordinatoren Julian gewohnt hat
23 Olha Andreicheva, Kharkiv
Mein Name ist Olga. Ich bin ein Binnenflüchtling aus Kharkiv. Ich bin mit meiner Familie und meiner Tochter Kateryna nach Czernowitz gekommen.
Am 24. Februar 2022, um 4.00 Uhr morgens, griff Russland die Ukraine und meine Stadt an. Meine Familie schlief tief und fest. Ich wachte durch seltsame Geräusche in der Nacht auf, öffnete meine Augen und sah meinen Mann am Fenster stehen. Im Fenster war ein rotes Licht zu sehen. Es flogen Granaten. Der Krieg hatte begonnen! Meine Tochter war gerade 2 Jahre alt geworden.
Ich hatte Angst und begann, meiner Tochter Kateryna Winterkleidung anzuziehen, während sie schlief. Ich musste weglaufen, aber ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Ich sammelte meine Dokumente und das Nötigste ein. Meine Familie war bereits wach und verängstigt. Mein Mann und ich beschlossen, in sein Haus zu flüchten, das weiter von der Stadt entfernt war.
Auf der Straße, in den Supermärkten und überall sonst waren die Menschen verängstigt. Es herrschte Panik und Chaos. Trotzdem durften wir als erste in den Supermarkt gehen, um einzukaufen, was das Kind brauchte. Dann stiegen wir in einen Bus, der voll mit Menschen war, die aus den Außenbezirken der Stadt kamen, wo es bereits heftige Kämpfe gab! Und dieser Teil der Stadt war fast zerstört. Unterwegs sahen wir überfüllte Tankstellen, eine Schlange von Menschen. Autos voller Menschen, Dinge, Lebensmittel, Menschen, die in Panik aus der Stadt rannten, um ihr Leben zu retten. Das alles erinnerte mich an einen Film über die Apokalypse. Ich dachte, ich würde träumen, das konnte nicht wahr sein.
Wir stiegen an der richtigen Haltestelle aus und liefen los. Meine Mutter und mein Vater blieben zu Hause. Ich machte mir Sorgen um sie. Als wir unser Ziel erreichten, beruhigte ich mich ein wenig. Nach ein paar Tagen der Bombardierung begannen wir, uns im Keller unter dem Haus zu verstecken. Wir bereiteten den Keller, Wasser und alles, was wir brauchten, vor. Es gab Tage, an denen es Luftangriffe gab, wir blieben lange im Keller und verbrachten dort sogar Tage und Nächte mit unserem Kind. Unsere 2 Hunde waren mit uns im Keller. Es war kalt, sie legten sich neben uns auf die Matratze und hielten mich und mein Kind warm.
Der Verkehr in der Stadt kam völlig zum Erliegen. Überall flogen Granaten und es roch nach Feuer. Die Menschen zogen in den Untergrund zur Metro und lebten dort wochenlang. Eines Tages kam meine Mutter zu Fuß und brachte uns Lebensmittelpakete, die ein Nachbar, der ebenfalls geflohen war, mit meiner Familie geteilt hatte.
Eines Tages schlug eine Rakete direkt neben unserem Haus ein. Wir beschlossen zu gehen. Unser Auto war in keinem guten Zustand, aber wir schafften es, dorthin zu kommen. Wir fuhren ins Dorf (Region Kharkiv), in das alte Haus meiner Großmutter. Dort heizten wir den Ofen mit Holz und dachten, dass alles gut werden würde. In diesem Dorf tauchten viele Menschen auf. Auch sie waren auf der Flucht vor dem Krieg, genau wie wir. Alle versuchten, das Essen zu teilen und halfen, das Haus einzurichten. Sehr oft fiel der Strom aus, und zwar für lange Zeit. Aber ich habe gelernt, Kerzen von Hand zu machen. Wenn alle schliefen, heizte ich den Ofen an und las Gebete vor. Jede Nacht flogen Flugzeuge und warfen Bomben ab. Manchmal ganz nah, manchmal weit weg. Es war sehr beängstigend. Ich sah meine schlafende Tochter und Mutter an und dachte, dass dies die letzte Nacht unseres Lebens war. Die Frontlinie rückte immer näher. Wir beschlossen, weiterzugehen. Ich, mein Vater, meine Tante, meine Mutter und mein Kind. Mein Mann blieb in der Stadt.
Durch unsere Freunde fanden wir Freiwillige und wurden nach Czernowitz evakuiert. Jetzt leben wir hier. Wir sind im März 2022 angekommen. Mein Vater starb hier, nachdem er zwei Jahre überlebt hatte. Gewöhnliche Menschen und Nachbarn helfen uns. Alle sind besorgt. Unser Kind geht in den Kindergarten und hat neue Freunde. Ich erledige kleine Arbeiten und versuche, mich an das neue Leben zu gewöhnen. In dieser Stadt gibt es viele Menschen, die wie ich vor dem Krieg aus dem Osten geflohen sind. Wir haben hier eine Zuflucht gefunden. Bis jetzt ist es hier ruhig. Es gibt viele Menschen, die uns geholfen haben: mit humanitärer Hilfe und einfach durch moralische Unterstützung. Wir versuchen, uns hier ein neues Leben aufzubauen. Keiner von uns weiß, ob wir nach Hause zurückkehren werden und ob es die Ukraine geben wird. Oder ob Russland unsere Häuser bis zum Ende zerstören wird.
Ich bin all den Menschen sehr dankbar, die mir in diesen schwierigen zwei Jahren geholfen haben. Niemand blieb gleichgültig gegenüber unserem Kummer. Ich hoffe, dass der Krieg eines Tages zu Ende sein wird und wir alle in unsere Häuser zurückkehren können.
Ich bin gegen den Krieg auf der ganzen Welt. Ich bin für den Frieden.
Januar 2024, Olha Andreicheva aus Kharkiv
22 Tetiana Avramenko, Snihurivka, Mykolaiv region
Der 24. Februar ist in unserer Familie bis heute präsent…
Wir sind die Familie Avramenko, Tetiana und Oleksandr, unsere 4 Kinder und die Mutter meines Mannes. Meine Familie und ich lebten in einem kleinen Dorf namens Vasylivka, Bezirk Snihurivka, Region Mykolaiv. Unser ganzes junges Leben lang arbeiteten wir, kümmerten uns um unsere Familie, zogen unsere Kinder auf, hatten unser eigenes Haus, einen Bauernhof: einen Gemüsegarten, Vieh, das Leben ging seinen gewohnten Gang…
Aber dann kam die Zeit, in der der Krieg in unser Haus kam…
Es war der Morgen des 24. Februar 2022, fast die ganze Familie war zusammen und schlief ruhig in ihrem Bett. Nur eine Tochter, Anna, war zu dieser Zeit an der Universität und lebte in einem Studentenwohnheim. Frühmorgens um 3:00 Uhr klingelte das Telefon, und die Nichte rief ihren Mann an und sagte
– Onkel, der Krieg hat begonnen!
Und mein Mann stand schnell aus dem Bett auf und rannte in den Hof, um weiter zu reden…
Natürlich ist der erste Gedanke des Anrufers, was passiert ist, sie rufen zu so später Stunde an, also ist etwas passiert.
Als mein Mann hereinkam, war er sehr nervös. Zu dieser Zeit sah er Raketen von der Krim in Richtung Mykolaiv fliegen.
Ich habe nur gefragt:
- Was und auf wen?
Die Antwort schockierte mich.
- Der Krieg hatte begonnen!
Ich war wie erstarrt und fing an zu weinen.
Wie? Warum? Warum? Wer? Es gab so viele Fragen.
Und das Wichtigste, mein Kind ist nicht da, was soll ich tun?
Unsere Tochter Anya war 150 km von uns entfernt in der Stadt Mykolaiv.
Wie geht es ihr? Was ist mit ihr los? Wie können wir sie zurückholen, um zusammen zu sein?
Am Anfang war ich hysterisch. Aber dann wurde mir klar, dass ich ihr nicht helfen kann, wenn es so weitergeht.
Wir begannen, sie anzurufen.
Sie nahm lange Zeit nicht ab… Und wir wussten nicht, was wir denken sollten.
Aber nach 5 Minuten nahm sie den Hörer ab und fragte:
- Mama, was ist los?
Ich hatte ihr nur gesagt, sie solle schnell ihre Papiere zusammensuchen und das Wohnheim verlassen, einen Weg suchen, die Stadt zu verlassen und nach Hause zu gehen, und in diesem Moment hörten wir den Beschuss neben ihr, und das Einzige, was ich im Telefon hörte, war das Geschrei von Hunderten von Kindern im Wohnheim, und der Anruf wurde abgebrochen, Stille…
Ich dachte nur, ich würde verrückt werden, was dort passiert war, ob sie noch lebte…
Wir riefen alle an, um die Kinder aus der Stadt nach Hause zu holen, wir dachten, das Dorf sei sicherer als die Stadt, aber …
Zu dieser Zeit hatte niemand Benzin, nur wir hatten ein Auto und einen halben Tank Benzin. Wir beschlossen, so lange zu fahren, wie wir genug Benzin hatten, und dann zu Fuß zu gehen. Also sammelten wir unsere Kinder in einer Gruppe zusammen. Unsere Tochter Anya und andere Kinder, Kinder von Freunden, Bekannten, Verwandten.
Und die Kinder gingen zu Fuß aus der Stadt, denn es gab keine Verkehrsmittel, es war der Beginn der Apokalypse…
Mein Mann und ich hatten zwar Geld, aber kein Bargeld und als wir an der Tankstelle ankamen, gab es Warteschlangen von 2 km, es war einfach nicht möglich zu tanken, und die Zeit verging, und die Bombardierung war sehr schlimm. Wir beschlossen, so weit zu fahren, wie wir Benzin hatten, auf eigenes Risiko. Die Kinder erreichten fast die Stadt, sie waren 12h Unterwegs gerieten wir viermal unter Beschuss, aber Gott sei Dank war alles in Ordnung. Wir trafen uns also mit den Kindern, holten sie ab und fuhren nach Hause nach Vasylivka. Andere Eltern waren ebenfalls unterwegs und nahmen uns unterwegs ihre Kinder ab.
So brachten wir unsere Kinder an einen „sicheren Ort“, von dem wir noch nicht wussten, dass er sich als ziemlich gefährlich herausstellen würde.
So waren wir als Familie zusammen. Aber die Zeit war nicht auf unserer Seite, denn unser Dorf wird vom Fluss Ingulets umspült, so dass wir über Brücken mit dem Bezirk verbunden waren. Mit der Zeit wurden immer weniger Lebensmittel ins Dorf gebracht, wir mussten in den Bezirk nach Snihurivka gehen. Aber um in der Schlange zu stehen und etwas zu kaufen, musste man um 6 Uhr morgens dorthin gehen, und man stand schon zu 100 in der Schlange, denn die Einheimischen kamen schneller dorthin. Denn als wir aus dem Dorf kamen, war es schon spät, und es gab auch eine Ausgangssperre.
Einmal, als wir 4 Kinder bei der Mutter meines Mannes zurückließen, gingen wir nach Snihurivka, um Mehl und Hefe zum Kuchenbacken zu kaufen. Es waren viele Leute da, bis zu 400 Leute, wir waren fast an der Reihe, und wir sahen, wie die Männer, die für Ordnung sorgten, aus irgendeinem Grund anfingen, durch Ferngläser in Richtung unseres Dorfes zu schauen und nervös wurden.
Ich fragte sie:
- Was ist passiert?
Und sie antworteten:
- Die russischen Truppen kommen durch Vasylivka.
Das war’s… Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte, ich bin hier mit Kindern, 5 km entfernt.
Wir ließen alles stehen und liegen, stiegen schnell ins Auto und fuhren nach Hause, aber als wir am Kontrollpunkt ankamen, ließen sie uns nicht durch.
Sie sagten:
- Was macht ihr da, es gibt Beschuss: Panzer und Hubschrauber, wir lassen euch nicht durch.
Zu dieser Zeit brachten sie unsere Soldaten aus unserem Dorf, die den Angriff abwehrten, sie waren schwer verwundet.
Wir merkten, dass wir hier waren und dass die Kinder dort waren.
Ich fing einfach an zu weinen und flehte sie an, uns durchzulassen.
Ich sagte, wenn nicht mit dem Auto, dann würde ich zu Fuß oder auf dem Bauch zu meinen Kindern gehen. Sie sahen ein, dass es keine Option war, uns festzuhalten. Sie sagten uns, wir sollten ins Auto steigen und auf ein Zeichen hin Gas geben und schnell und ohne anzuhalten bis nach Hause fahren. So kamen wir unter Beschuss und erreichten die Kinder.
Aber ganz so einfach war es nicht. Es wurde immer schlimmer, meine jüngere Tochter war damals eineinhalb Jahre alt, sie aß nur Babynahrung, aber die gab es nirgends zu kaufen. Die Brücken wurden gesprengt und es gab keine Kommunikation. Und am 19. März kamen die russischen Truppen zu uns …
Und die harte Arbeit begann.
Sie gingen von Hof zu Hof, nahmen alles mit, was sie brauchten, Lebensmittel, Brennholz, Kleidung, suchten nach jungen Mädchen, Männern, Jungen, hatten Listen von allen Militärs, Polizisten und allen ihren Verwandten. Zwischen den Ankünften wuschen und kochten wir. Wir versteckten uns im Keller. Wir gruben ein Loch unter dem Regal, in dem eingemachte Gläser waren, bedeckten es mit Decken und versteckten unseren Sohn und unsere Tochter auf diese Weise. Und wenn sie auf dem Hof herumliefen, saßen sie im Keller und hielten sich die Hände vor den Mund, damit sie nicht einmal flüstern konnten.
Sie sagten den Nachbarn immer, dass sie nach dem Beschuss von jedem Hof aus schreien sollten, dass sie am Leben seien. Wenn jemand nicht antwortete, sollten sie loslaufen und ihn aus dem Granatenhagel ausgraben.
So haben wir gelebt. Am letzten Tag, als ich draußen auf einer trockenen Schleife Kuchen backte, sagte ich zu den Erwachsenen:
- Bitte, lasst die Kinder essen, denn es gibt nichts zu essen. Und dann war es am schwierigsten, darüber nachzudenken, wie es weitergehen sollte, wie man die Kinder ernähren könnte.
Und dann beschlossen wir, zu gehen. Es gab zwei Möglichkeiten: ohne Essen sitzen bleiben oder gehen und die Kinder nicht mehr sehen lassen.
Also fuhren wir mit einem fast leeren Benzintank los. Zu dieser Zeit hatten wir keinen Anschluss, keinen Strom, keine Lebensmittel, nichts. Wir waren in zwei Autos unterwegs, mit einem weißen Tuch am Auto, auf das Kinder geschrieben hatten. Meine Familie und ich fuhren durch acht Kontrollpunkte, an denen sie meinen Mann und meine Tochter herausholten und meinen Mann fragten, warum er „seine Heimat“ nicht verteidigt habe. Wir erlebten schwierige Momente. An einem der Kontrollpunkte wurde der Mann vor uns bis auf die Unterwäsche ausgezogen, und hinter uns fuhr eine Familie: eine Frau, ein Mann und drei Kinder, und dieser Mann wurde vor den Augen der Familie erschossen… Es ist sehr schwer, das alles zu sehen.
Als wir unsere ukrainischen Soldaten trafen, gaben sie den Kindern etwas zu essen, fragten, wie es uns geht und was wir brauchen. Wir hatten viele Tränen in den Augen, es war ein solches Glück, das man nicht in Worte fassen kann… Wir fuhren also nach Mykolaiv, aber wir blieben dort eine Woche lang, und dann begann der Beschuss unseres Viertels. Am Morgen des achten Tages beschlossen wir, in die Westukraine zu gehen, und fuhren unter Beschuss wieder ab.
So landeten wir in Czernowitz, und alles schien gut zu sein, und unsere kleine Heimat wurde 8 Monate nach unserer Abreise befreit. Aber so einfach ist es nicht, unser Gebiet im Süden ist das am stärksten verminte Gebiet, so dass es sehr beängstigend ist, im Hof unseres Hauses herumzulaufen. Damals wollten meine Familie und ich nach Hause zurückkehren, aber es gab eine weitere Prüfung: die Explosion des Wasserstaudamms Kachowka. Und da wir in einem Gebiet leben, in dem es Flüsse gibt und der Staudamm Kakhovka nicht weit von uns entfernt ist, wurde unser Haus überflutet. Unser Haus wurde überflutet. Es war komplett, bis zum Dach, also 2,5 Meter, überflutet!
Die Leute, die in der Nachbarschaft wohnten, konnten etwas aus dem Haus holen und es den Berg hinaufbringen, aber wir konnten das nicht, weil wir 1000 km entfernt waren. Alles, was wir besaßen, alles, was wir in dieser Zeit, in der wir heirateten, erworben hatten, ging also unter Wasser. Wir hatten nichts mehr, unser Haus wurde für unbewohnbar erklärt. Wir haben keine Ahnung, wie wir mit 4 Kindern leben sollen. Und so schenkte Gott uns, dass wir auf das fünfte Kind warten, wir sammeln derzeit Geld, um ein Haus in der Region Czernowitz zu kaufen, aber wir haben nicht genug Einkommen, um es zu kaufen.
Dies ist die Geschichte der Familie Avramenko. Vielleicht habe ich etwas übersehen, tut mir leid. Ich kann Ihnen in einem Videoanruf mehr erzählen. Ich danke Ihnen.
Januar 2024, Tetiana Avramenko aus Snihurivka, Mykolaiv region
21 Darya Svetenko, Berdyansk
Ich erfuhr von dem Krieg am Morgen des 24. Februar 2024, als ich durch eine Reihe von Explosionen in der Stadt aufwachte. Es war ein Schock und Verzweiflung zugleich. Ich arbeitete mehrere Tage lang weiter, bis ich im Morgengrauen des 27.02.2022 vom Fenster meines Hauses aus Panzer und Fahrzeuge mit dem Militär eines fremden Landes meine Straße entlangfahren sah. Auf den Panzern, Autos und Benzintankwagen waren große Buchstaben „Z“ in weißer Farbe zu sehen.
Die Zahl der bewaffneten Besatzungstruppen nahm jeden Tag zu. Sie liefen durch die Straßen, standen in der Nähe von Geschäften, Apotheken, Krankenhäusern und Kliniken. In den ersten Tagen der Besatzung herrschte unter der Bevölkerung meiner Stadt eine unglaubliche Panik. Ich verbrachte den Beginn des Krieges in nicht angepassten und feuchten Unterkünften. In den Geschäften kauften die Menschen innerhalb weniger Tage alles ein: von Lebensmitteln bis hin zu Hygieneartikeln. Die Warteschlangen für Medikamente in den Apotheken waren lang. In den Apotheken waren 80 % der Medikamente ausverkauft, und es wurde kein neuer Nachschub geliefert.
Anfang März 2022 wurde die Stadt ohne Gasversorgung zurückgelassen (die Gasleitung wurde durch die Feindseligkeiten beschädigt). Die gesamte Stadt war ohne Heizung und Wärmeversorgung. Die mobile Kommunikation und das Internet sind in diesen Tagen völlig verschwunden. Die Stromversorgung war unregelmäßig. Die Bäckereien arbeiteten unregelmäßig, so dass es zu einem Mangel an Brot kam.
Die Einrichtung, in der ich arbeitete, wurde von der militärischen Besatzungsmacht beschlagnahmt. Alle Mitarbeiter wurden ausgewiesen, ohne ihre persönlichen Gegenstände und Dokumente mitnehmen zu dürfen. Die Macht ging in die Hände der Besatzer über. Die Banken wurden geschlossen, und in den Geldautomaten gab es kein Bargeld mehr.
Die Kriegsschiffe der Besatzer liefen in den Hafen ein. Der Druck auf die Bevölkerung nahm zu. In der Stadt begann die Entführung und Inhaftierung von Zivilisten. Dies war der Anstoß, die Stadt zu verlassen und zu fliehen, denn das Leben unter der Besatzung wurde unerträglich und gefährlich. Meine Eltern waren zwei Jahre vor Kriegsbeginn gestorben, und so war ich der einzige, der die besetzte Stadt verließ.
Im dritten Anlauf gelang es mir, die Besatzung zu verlassen. Wir fuhren in einer langen Autokolonne mit weißen Fahnen an den Türen und der Aufschrift „CHILDREN“ an den Seitenfenstern. Der Autokonvoi bewegte sich sehr langsam. Wir legten die Strecke (200 km) in das von der Regierung kontrollierte Gebiet der Ukraine in 12 Stunden zurück und passierten dabei 16 feindliche Kontrollpunkte, an denen alle Habseligkeiten gründlich durchsucht und die Telefone überprüft wurden. Entlang der Straße waren die Felder gesäumt von beschädigter militärischer Ausrüstung, Überresten von Raketen, nicht explodierten Minen und Panzersperren.
Der Schrecken dieser Erfahrung brachte mich dazu, so weit wie möglich wegzufahren. So landete ich in Czernowitz. Das erste Jahr fern der Heimat war in jeder Hinsicht schwierig. Am schwierigsten war es, sich an die neuen Gegebenheiten und den Zustand der Unsicherheit anzupassen. Aber später fand ich die Kraft und begann, Pläne für die Zukunft zu machen. Ich begann, schulpflichtigen Kindern aus der Nachbarschaft beim Lernen zu helfen.
Um die Ukraine bei ihrem Wiederaufbau nach dem Krieg zu unterstützen, schrieb ich mich 2023 an der Jurij-Fedkowytsch-Nationaluniversität Czernowitz ein, um neue Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, die in der Zukunft nützlich sein würden.
Czernowitz ist für mich zu einer Stadt des Friedens, der Hoffnung und neuer Träume geworden!
Januar 2024, Darya Svetenko aus Berdyansk
20 Olha Nikolaeva, Berdyansk
Lehrerin für ukrainische Sprache und Literatur
Verließ Berdiansk im Jahr 2022 in Richtung Czernowitz
Ich wusste, dass es einen Krieg geben würde. In der Nacht davor hatte ich einen Traum – mein verstorbener Vater hatte mich gewarnt. Aber ich wollte nicht weggehen. Wir wussten, dass wir abgeschnitten sein würden und dass es schlimmer werden würde, also kauften wir alles: Medikamente, Mehl, Zucker, Öl. Es wurde viel konserviert.
Ich bin am 16. Mai abgereist, nachdem die Eindringlinge (russisches Militär), wie ich sie nenne, zu meinem Haus kamen. Einundzwanzig Leute mit Waffen in den Händen. Dann brachten sie mich in das Büro des Kommandanten. Ich musste gehen. Ich hatte nicht das Recht, es mit allen anderen zu tun – ich dachte, dass ich im Bus jemanden in Gefahr bringen könnte. Deshalb bin ich mit meinen vertrauten Freunden gegangen. Meine Mutter ist 82 Jahre alt, sie ist im Beruf geblieben. Ich hatte 25 Minuten Zeit zum Packen. Ihr wertvollster Besitz war eine Sammlung von bestickten Hemden. Ich nahm sie heraus, sah sie an und merkte, dass ich sie nicht mitnehmen konnte. Der Koffer enthielt das Nötigste sowie ein Hochzeitsfoto mit ihrem Mann und das Buch „Der Fluss des Herkules“ von Lina Kostenko, das die Absolventen von 2017 vorgestellt hatten.
Wir haben lange gebraucht, um dorthin zu gelangen – vier Tage haben wir für die zweihundert Kilometer gebraucht. Die Hitze war schrecklich. Einundzwanzig russische Kontrollpunkte. Jeder von ihnen hatte seine eigenen Gesetze. Die Eindringlinge waren betrunken und begannen zu schießen. Sie wussten nicht, was die Steppe ist, was die Hitze bedeutet. Deshalb taten Wasser, Wodka und Zigaretten ihren Dienst, nicht alle Sachen wurden umgedreht… Etwa fünfhundert Autos versammelten sich in der Nähe von Vasylivka. Die Menschen starben in den Kolonnen… Es gab alles.
Auf dem Weg aus Vasylivka heraus durften die Leute an einer Tankstelle anhalten. Dort fand ich in einem der Schränke eine ukrainische Flagge, die von den Russen heruntergerissen worden war. Ohne zu zögern, band ich sie unter mein Hemd und … nahm sie aus der Besatzung mit.
Diese Flagge ist jetzt in sicheren Händen. Ich werde mit ihr nach Berdiansk zurückkehren.
Heute gebe ich von Czernowitz aus weiterhin Online-Unterricht für meine Schüler, die in 9 Länder gereist sind, von denen einige, wie ich, in die Westukraine gezogen sind. Trotzdem haben 31 Schüler die 10. Klasse der Philologieabteilung der Berdiansker Schule besucht. Sie lernen aus der Ferne und glauben, dass sie die externe unabhängige Prüfung bestehen und ihren Abschluss in ihrer Heimatstadt am Meer feiern werden.
„Ich habe ein schwarzes besticktes Kleid gekauft, weil ich in die Kirche gehe und ein Vierzigerkreuz bestelle. Ich fühle Asche in meinem Herzen, weil so viele Menschen sterben (auch meine Schüler). Ich weiß, wer die Meinen sind, ich bete für ihre Gesundheit, und für ihre Ruhe. Unsere Freiheit müssen wir uns sehr hart erkämpfen.
Januar 2024, Olha Nikolaeva aus Berdyansk