Von Anfang an ging es uns darum, mit unserem Projekt der Ukraine-Hilfe Begegnungen zu ermöglichen. Im Dezember 2023 als ich (Julian) zum ersten Mal für diese Initiative nach Czernowitz gefahren bin, dachte ich mir: Wie schön wäre es, wenn ich beim nächsten Mal nicht allein hinfahre, sondern ein paar von denen mit mir im Bus sitzen, die auch gespendet haben und sich nun enger mit diesen Familien verbinden möchten? Und wie schön wäre es, wenn es dann etwa 16 Leute wären, damit wir genau einen Kleinbus voll haben?
Ich interpretiere es als guten Stern über diesem Projekt, dass es genauso gekommen ist. Auf meinen Aufruf zu Beginn des Jahres in diesem Kreis, wer denn mal mit nach Czernowitz möchte, haben sich genau 16 Leute gemeldet. Vom 21. bis 25. Juni 2024 waren wir in der Ukraine und haben uns mit den von uns unterstützten Familien getroffen. Viele der Dinge, die ich im Dezember gefühlt habe, haben sich bestätigt: Die UkrainerInnen brauchen Unterstützung, sie brauchen Ohren, sie brauchen Umarmungen, sie brauchen Alltag, sie brauchen Solidarität, gelebtes Europa.
Wir haben uns mit einigen unserer 23 Familien gesondert zu einem Gespräch getroffen, um ihnen zuzuhören und uns näher mit ihren Schicksalen zu verbinden. Unsere Koordinatorinnen vor Ort Olha (selbst Binnengeflüchtete, Geschichte 1), Oksana (Leiterin des Internationalen Büros der Uni Czernowitz) und Olha (Übersetzerin) haben diese Begegnungen ermöglicht und vorbereitet. Die Herausforderungen, aus diesen Begegnungen Situationen werden zu lassen, bei denen sich alle wohlfühlen, haben wir alle gemeinsam immer wieder und gern bewältigt.
In der Uni im Kulturzentrum Gedankendach haben wir uns zunächst mit Vitaliy (Geschichte 15) getroffen und seiner Geschichte zugehört, wie er zu einem Vater von acht Kindern wurde, wobei nur eins davon sein eigenes ist. Olha und Iuriy (Geschichte 17) schilderten uns eindrücklich mit Bildern und Videoaufnahmen, wie das Leben unter russischer Besatzung aussah und wie sie die Sprengung des Kachowka-Staudamms im Sommer 2023 überlebt haben und die gigantische Flut für ihre Flucht aus russisch besetzten Gebiet nutzen konnten. Beim Lauschen dieser Geschichten wird man sehr demütig und darf sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren, die uns Menschen ausmachen.
Der Samstagabend war der Höhepunkt des Treffens. Von 23 unterstützten Familien in Czernowitz konnten 19 unsere Einladung zu einem gemeinsamen Begegnungsabend annehmen. In Kleingruppen an einem gedeckten Tisch konnten sich unsere 17 Gäste aus Deutschland und die 19 größtenteils binnengeflüchteten UkrainerInnen kennenlernen. Für einige aus der Ostukraine war es die erste Begegnung mit Menschen außerhalb der ehemaligen Sowjetunion. Die Aufregung und Anspannung war auf beiden Seiten zu spüren. Kleine Gruppenspiele und Gastgeschenke konnten die Anspannung bei den meisten lösen. Ich glaube, ich kann schreiben, dass für durchweg alle dieser Abend ein sehr bewegender war und dass die Gedanken und Emotionen dieses Abends uns noch lange begleiten werden.
Den Sonntag hat die Gruppe dann nutzen können, um die besondere Kulturgeschichte der Stadt zu erleben: Jüdisch-Deutsche Vergangenheit, KuK-Zeiten, rumänisches Czernowitz. Im Hotel Bukowyna oder in der Fußgängerzone, der Kobylyanskaia Straße, kann man schnell vergessen, dass man sich in einem Land im Krieg befindet. Allerdings ploppt es auch immer wieder auf. Am Sonntagmorgen um 9 Uhr haben wir der Gedenkminute beigewohnt. Jeden Morgen um 9 Uhr steht die Stadt still. Alle Autos halten an. Am Rathausplatz sind auch alle ausgestiegen und haben sich neben ihr Auto gestellt. Polizisten haben Kreuzungen abgesperrt. Aus Lautsprechern ertönte Musik. Es war bewegend, denn wir wissen, dass es in der Ukraine kaum Menschen gibt, die nicht unter den Aggressionen des Kremls leiden.
Am Montag haben wir uns mit NGO-VertreterInnen und einem Lokalpolitiker getroffen, um noch mehr über die Gesamtsituation der Binnengeflüchteten zu verstehen. Außerdem haben wir noch einige von “unseren” Familien gebeten, uns ihre Privatinitiativen vorzustellen. Yulia aus Kharkiv (Geschichte 14) erzählte uns von ihrem Traum einer eigenen kleinen Schoko-Werkstatt. Unsere Gruppe aus Deutschland hat ihr dann erstmal alle Pralinen abgekauft, die sie gerade fertig hatte (köstlich!). Olena aus Kurakhovo (Donezk, Geschichte 19) hat angefangen, für verwundete Soldaten, die zur Reha im sicheren Czernowitz sind, zu kochen. Diese Soldaten brauchen meist keine Diät-Kost und sehnen sich nach Heimat. Noch wichtiger als die Borschtsch ist aber auch hier die Zeit, die sie den Soldaten schenkt und die Umarmungen, die sie und ihre Freundinnen den Verwundeten mitbringen.
Im nächsten Beitrag auf dieser Seite werde ich euch mehr über diese lokalen Kleinstinitiativen von den von uns unterstützten Familien erzählen. Alle, die wir getroffen haben, stellen sich aktiv die Frage, was ihr Beitrag für eine freie Ukraine ist und kommen zu sehr unterschiedlichen, kreativen Antworten.
Wir haben eine verwundete Gesellschaft erlebt. Wir haben Menschen erlebt, die den Krieg hautnah erleben mussten, traumatisiert sind und immer wieder in Tränen ausbrechen. Wir haben allerdings auch erlebt, dass die Gesellschaft steht und die Menschen sich keine andere Ukraine als eine befreite und freie Ukraine vorstellen können. Unsere Unterstützung kommt an. Sie gibt ein paar Menschen in schwierigen Zeiten Mut. Unsere finanzielle Unterstützung von derzeit 100,- € pro Monat und Familie ist bei den meisten eine Erhöhung des monatlichen Budgets von 15-30%. Das macht einen Unterschied. Trotzdem war das Feedback viel häufiger, dass weniger das Geld die Kraft bringt, als vielmehr die Präsenz und das Symbol des Beistehens und Solidarisierens, das mit dem monatlichen Geldschein kommt. Besonders dafür war unser Besuch wichtig.
Die meisten von unserer Reisegruppe aus Deutschland sind mit dem Kleinbus wieder nach Chisinau gefahren. Dort haben wir uns noch zwei Tage für eine gemeinsame Reflektion genommen, bevor es zurück nach Deutschland ging. Wir möchten diese Ukraine-Hilfe aufrechterhalten und nach Möglichkeit für die Wintermonate auch wieder auf 200 € aufstocken. Es ist abzusehen, dass der nächste Winter noch komplizierter wird als die ersten beiden Kriegswinter, da die russische Armee ca. 50 Prozent der ukrainischen Energiekapazitäten zerstört haben. Im Spendentopf sind derzeit noch ca. 6.000 €. Das würde für zwei Sommer- und Herbstmonate reichen. Olha hat allerdings auch schon eine Liste mit Familien, die wir gern hinzunehmen würden. Wir freuen uns daher über jede Spende und Ideen, wie wir diese Geschichten verbreiten können.
Spenden Sie weiterhin an:
Active Commons e.V.
IBAN: DE71430609671123441900
Verwendungszweck: Ukraine-Hilfe
Wenn Sie im Januar eine Spendenquittung wünschen, dann geben sie bitte auch ihre Adresse an oder schreiben mir diese an julian.groeger@posteo.de
Außerdem: Die UkrainerInnen waren ganz gespannt darauf zu sehen, wer denn hinter dieser Hilfe steckt und was uns antreibt, fremden Menschen Geld anzuvertrauen. Wer also möchte, schreibt mir gern einen kleinen Text, am besten noch mit einem Bild. Ich übersetze es dann ins Ukrainische und schicke es an “unsere” Familien, die sich über solche Gesten riesig freuen. Ihr könnt mir dann schreiben, ob ich den Text auch auf dieser Homepage veröffentlichen darf oder lieber nicht. Derzeit sind wir ca. 170 Menschen, die in diesen Topf schon mal gespendet haben oder es regelmäßig tun. Leitet den Link gern weiter. Vielleicht gibt es noch mehr Menschen in Deutschland, die sich auf diese Weise mit der Ukraine verbinden möchten.
DANKE, dass Ihr diese Initiative zum Fliegen bringt. Ich habe vor mir die Geschenke, die ich im Namen aller in Czernowitz angenommen habe. Mit der signierten Fahne, dem Ukraine-Puzzle und Bilder vom alten, stolzen Czernowitz kommt der Dank der Familien, den ich versuche, hierüber nach Deutschland zu kanalisieren.
Hier ein paar Impressionen von den Mitreisenden:
“Der Höhepunkt war zweifellos das Treffen mit den Menschen, für die die regelmäßigen Spenden aus Deutschland überlebenswichtig sind. Unter ihnen waren nicht wenige, die noch nie oder fast noch nie mit „ausländischen Menschen“ gesprochen hatten. Zuweilen verständigten wir uns lediglich mit Zeichensprache, wenn unsere Dolmetscher gerade mal anderweitig beschäftigt waren. In jeder Sekunde spürten wir – bei gutem Essen (überwiegend Gemüse!) , Wasser und Wein – eine sehr große Herzlichkeit. Die Menschen, die wir trafen, bedankten sich immer wieder, dass wir gekommen waren und sie in diesem grauenvollen Krieg nicht vergessen sind. Kleine Herzchen in blau und gelb, die wir bekamen, sind mehr als Symbolik. Hier, wie auch an anderen Tagen, flossen viele Tränen: Tränen der Rührung und der großen Dankbarkeit. Die Menschen bedankten sich, dass wir den weiten Weg auf uns genommen hatten und sie anhören. Stunden des Glücks. Für sie, aber auch fpr uns. Und wir mussten jedes Mal etwas beschämt daran denken, wie materiell gut es den meisten von uns geht und mit einer vergleichsweise wie kleinen Summe viele von uns geholfen hatten.”
Reiner Scholz, Hamburg
“Anfangs war ich skeptisch. Millionen Ukrainer*innen flüchten und wir reisen in ein Land im Krieg. Was im ersten Moment nach Kriegstourismus klang, wurde zum Fest der Menschlichkeit. Juri und Olha, die 2014 von der Krim und 2023 nach der Sprengung des Kachowka-Staudamms erneut aus russischer Besatzung fliehen mussten… Karolina, die ihr Baby zwischen den Schüssen russischer Soldaten auf einem Krankenhausflur in Mariupol zur Welt brachte… Vika, die ihren Bruder im Krieg verlor und ihre Liebe während seines Fronturlaubs heiratete… Es sind Geschichten, die so nie hätten passieren dürfen und in ihrer Brutalität kaum auszuhalten sind. Umso mehr sind es aber auch Geschichten, die unbedingt gehört und weitererzählt werden müssen. Unsere Gespräche waren Begegnungen voller Tränen und Umarmungen, voller Freude und Menschlichkeit. Und was uns zwischen all dem immer wieder begegnete, war Dankbarkeit – für unseren Besuch, für unser Zuhören, für unsere Empathie und Unterstützung. Dabei ist all das so verdammt wenig – in Zeiten von Krieg. Und trotzdem ist es für die Menschen in der Ukraine überlebenswichtig, gesehen, unterstützt und nicht vergessen zu werden. Denn der brutale russische Angriffskrieg geht weiter – jeden Tag.”
Carolin Holzhäuser, Berlin
“Beeindruckt vom Lebenswillen der ukrainischen Binnenflüchtlinge, die wir vor Ort trafen, und der selbstlosen Hilfe jener Czernowitzer Landsleute kehrten wir ins sichere Nachhause. Der russische Krieg, in Tscherniwzi gelegentlicher Luftalarm und kurze Stromsperren, ist uns weit weg und doch ganz nah, weil die Geschichten der zur Flucht getriebenen Menschen, denen wir begegneten, bleiben. Die Meldungen über die Toten und Verletzten laufen weiter. Der Tod ist nun ein Meister aus Moskau.”
Volker Köhler und Monika Wagner, Berlin
„Die geflüchteten Familien durfte ich auf einer Reise nach Czernowitz kennenlernen. Ihre bewegenden Geschichten werden mir noch lange im Kopf bleiben. Ich finde es toll, dass dieses Projekt die Familien direkt und unkompliziert unterstützt.“
Lisa Krause, Hamburg
„Ich fand es anrührend und zugleich ein großes Geschenk, wie offen und herzlich unsere „Binnen-Geflüchteten“ uns begegneten, bereit, Ihre Erfahrungen und ihren Schmerz mit uns zu teilen. Berührend, ja auch etwas beschämend, für mich als gut situierten „Westler“, die Zuversicht, der Mut und das beherzte Anpacken. Anpacken, um die eigene Situation zu meistern und zugleich auch anderen beizustehen. Bewundernswert insbesondere, was unsere Koordinatorinnen Oxana, Olha und Olha (und all die anderen) da leisten – an Arbeit und empathischer Zuwendung! All das passiert in Czernowitz, ein fast mystischer Ort mit einer großen Vergangenheit, einst Zentrum überwiegend deutschsprachigen Judentums im Osten, zugleich multi-ethnisch und kosmopolitisch. Mit den Zeugnissen einer unbändigen Kreativität und Schaffenskraft, zugleich Symbol der Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit, zumal all dies schon einmal dem Untergang anheim fiel. Bleibt die Hoffnung, dass die hier nun herrschende relative Sicherheit Bestand haben kann. Denn die Ideologie Putins scheint sich ja gerade gegen alles zu richten, was Vielfalt, freies Denken und Solidarität repräsentiert.“
Hansjörg Brey, Seefeld